Warum wir dieses Jahr keinen Block auf dem CSD Stuttgart machen

In den letzten Jahren waren wir als ein kritischer, antikapitalistisher, kämpferischer und revolutionärer Teil der Stuttgarter Pride sichtbar und ein klarer Anlaufpunkt für viele Queers. Während diese Beteiligung zwar immer auf großen Anklang gestoßen ist, haben wir uns nichtsdestorotz dieses Jahr dafür entschieden nicht mit einem eigenen Block auf dem CSD aufzutreten. Einerseits aus genau diesem Grund; wir wurden zu einem beliebigen Teil der Pride. Auch wenn wir unsere Kritik immer deutlich äußerten und zum Ausdruck brachten, haben wir es in der Aktion nie konsequent geschafft, eine ernsthafte oppositionelle Stellung einzunehmen. Ein weiterer nicht zu verachtender Faktor ist, dass unsere Beteiligung, besonders im letzten Jahr auch ein Mittel dargestellt hat, durch das sich die Stuttgarter Pride als offen für verschiedene politische „Meinungen“ präsentieren konnte. Beispielhaft ist das besonders am Begriff ‚Antifaschismus‘ zu sehen. 2023 sagte sich die Orga noch komplett wegen „extremistischer Konnotation“ davon los, rief zum Boykott des CSD Freiburg auf.  Unser Block wurde begleitet durch ein nie auf dem CSD gesehenes Polizeiaufgebot, das der Vorstand extra einbestellt hatte, um unseren Block im Zweifel herauslösen und entfernen zu können. Nur ein Jahr später schmückte man sich dann plötzlich gerne mit Rosa Winkel und Antifa Fahne. Es wird sich eben so hin gelegt, wie es gerade passt.

Historisch lässt sich ein ähnlicher Prozess beobachten: revolutionäre Teile der queeren Community wurden immer wieder in bürgerliche Bewegungen integriert, um ihnen an Schlagkraft zu nehmen. Das hat dafür gesorgt, dass sie jeglichen systemüberwindenden Charakter aufgaben und der „Kampf“ auf dem CSD nur noch um bürgerliche Reformen und eine möglichst lückenlose Integration in eine bürgerlich-patriarchale Gesellschaft zu integrieren. Um selbst nicht weiterhin in diese Sackgasse zu laufen und eine Perspektive für die queere Community schaffen zu können, haben wir uns also dieses Jahr dazu entschieden, keinen Block auf der Pride zu organisieren. In diesen Zeiten der Krise, der Rechtsentwicklung braucht es eine Klarheit in der Frage des queeren Kampfes. Es braucht linke, revolutionäre Initiativen und Antworten.

„Hinter dem Faschismus steht das Kapital“- Ein Satz, der immer wieder fällt und erstmal abstrakt klingt, sich in den aktuellen Zeiten aber hervorragend beobachten lässt. Das letzte Jahrzehnt war in Ländern wie Deutschland oder den USA von einer sozialen Liberalisierung geprägt. Besonders queere Menschen konnten sich freier ausleben, in vielen Ländern gab es Reformen zur Ehe für gleichgeschlechtliche Paare oder zur Erleichterung einer Transition. Konzerne erkannten dies natürlich und zögerten nicht, aus dieser Entwicklung Profit zu schlagen. H&M, Daimler, Deutsche Bank sind nur ein paar Beispiele. Die Checkliste umfasste meistens 3 Dinge: Logo für den Juni in Regenbogen einfärben, irgendein Produkt oder eine Kollektion herausbringen die sich prima verkauft und einen Truck auf den CSD stellen. Spannenderweise hat das besonders dieses Jahr ganz schön abgenommen. Das mag vielleicht erstmal banal wirken oder wenig Aussagekraft haben, ist im gesellschaftlichen Kontext betrachtet aber sehr relevant. Besonders über das letzte Jahr haben rechte Kräfte nochmal starken Zulauf bekommen.  Eines der zentralen Themen der neuen Rechten ist seit einigen Jahren der Hass gegen queere Menschen. Immer wieder bekommen wir von körperlichen Angriffen mit, Rechte mobilisieren beinahe massentauglich gegen CSDs und die Regierungen mischen munter mit. In den USA gab es in der 2. Amtszeit Trumps einen massiven Rollback queerer Rechte, prominent auch zu nennen, das Verbot der Orban Regierung des CSDs in Budapest. Und es gibt noch viele mehr Beispiele in den verschiedensten Ländern. Das gesellschaftliche Klima dreht sich, Unterstützung queerer Menschen ist nicht mehr so profitabel, dann verschwinden die Themen auch ganz leise wieder von der Bildfläche. Das Kapital, die großen Konzerne entlarven sich als das was sie sind: Opportunistisch und profithungrig Echte Befreiung queerer Menschen oder irgendwelcher anderer Menschen interessieren sie nicht im geringsten.  

Die Perspektive der Pride bleibt dabei allerdings gleich. Party mit Weinsponsor, FDP Wagen und möglichst wenig anecken. Bloß nicht die eigenen Konzepte und Haltungen hinterfragen.
Wir sehen dass es mehr braucht. Es braucht klassenbewusste Antworten auf die Angriffe von rechts. Da die Stuttgarter Pride diese Antworten niemals liefern kann, liegt es an uns, dem kämpferischen Teil der queeren Bewegung, alternative Angebote und Möglichkeiten zu schaffen. Wir müssen aktiv und revolutionär Verbesserungen erkämpfen, nicht in der Aushandlung minimaler Reformen mit den Herrschenden. Eines dieser Angebote ist die Critical Pride und (klassen-)kämpferische Stonewall Demos im allgemeinen. Aber auch da hört es nicht auf. Wir müssen uns zusammenschließen und organisieren. Das ganze Jahr für queere Befreiung einstehen, nicht nur einen Tag oder Monat im Jahr, voller Überzeugung und Tatendrang. Kommt dafür zu antifaschistischen Initiativen, redet mit euren Freund:innen, eurem Supportsystem, gründet Gruppen, unterstützt wo ihr könnt, schreibt uns an….


 
Wichtig ist uns:

Wir wollen niemanden davon abhalten zum CSD zu gehen oder Menschen dafür verurteilen. Auch dort können progressive Impulse gesetzt werden, auch dort kann man sich mit Menschen zusammenschließen und auch dort können kollektive, starke Momente erlebt werden. Wichtig ist aber auch: Wir können nicht erwarten, dass die Stuttgarter Pride oder sonstige bürgerliche Initiativen aktiv zu unserer Befreiung beitragen, denn befreien können wir uns nur selbst. Organisiert als Queers und als Klasse.