2024 haben wir den Sommer der Nazimobilisierung gegen diverse Christopher-Street-Day-Paraden erlebt, und zwar nicht nur in Ostdeutschland. Abgesehen von dieser direkten, physischen Bedrohung, der sich queere Personen ausgesetzt sahen, haben wir auch generell einen enormen Anstieg der Gewalt gegen uns, insbesondere im letzten Jahr verfolgen können. Der Rechtsruck ist ein globales Phänomen und überall auf der Welt stehen wir als queere Menschen ganz oben auf der Abschussliste rechter Bewegungen.
GESCHICHTE QUEERER VERFOLGUNG
Queerness ist kein neues Phänomen, es gab sie schon immer und überall. Was wir neu haben, ist eine Sprache, diese nuancierter zu Beschreiben. Nachweise gibt es bis ins Altertum und in verschiedenen Kulturen, wurde sehr unterschiedlich damit umgegangen. In Deutschland wurde der §175, der in erster Linie die Verfolgung homosexueller Männer ermöglichte im Kaiserreich 1871 eingeführt und unter den Nazis verschärft.
Wir erinnern uns, dass eine der ersten, großen Bücherverbrennungen im 3. Reich die Sammlung des frühen Sexualforschers Magnus Hirschfeld vernichtet hat. Er leitete das Sexualforschungsinstitut in Berlin, das Anfang der 30er Jahre die größte Bibliothek zu queeren Themen der Welt besaß. Und nach der Befreiung der Konzentrationslager 1945 waren die „Männer mit dem Rosa Winkel“, die in der KZ-Hierarchie ganz unten waren und mit die geringsten Überlebenschancen hatten, die einzigen Häftlinge, die zu großen Teilen wieder eingesperrt wurden – sie blieben schließlich Straftäter. Der §175 wurde in der BRD erst 1994 vollständig abgeschafft, erst 2018, fast 25 Jahre später, hielt es ein Bundespräsident für nötig, sich bei den Verfolgten zu entschuldigen.
QUEER RECHTE UNTER BESCHUSS
Der Backlash den wir erleben beschränkt sich jedoch nicht auf die Straßen. Auch in den Parlamenten stehen unsere Rechte von den Akteur*innen dieser menschenverachtenden Bewegung unter Druck, ob sie nun AfD, Union, Fratelli d‘Italia oder Republikaner heißen.
Obwohl oft der Eindruck vermittelt werden soll, dass die Gleichstellung queerer Personen erreicht ist und kein weiterer Einsatz nötig sei, gibt es in der Realität viele Gesetze, die den Zugang zu medizinischer Versorgung für trans Personen beschränken. Viele weitere sind bereits in Arbeit. Gleichzeitig werden die Rechte queerer Jugendlicher angegriffen, Adoptionsmöglichkeiten eingeschränkt und mehrere Bundesländer führen Genderverbote in Schulen und Behörden ein.
TARGETING VON TRANS PERSONEN
Der Hass dieser rechten Welle richtet sich gegen die gesamte queere Bewegung. Menschen, die sich als trans oder nicht-binär identifizieren stehen in der Hetze allerdings im Fokus. Insbesondere trans Frauen, gegen die sich die Queer- und Transfeindlichkeit mit Misogynie vermischt, sind zur Zielscheibe der rechten Propaganda und Gewalt geworden. Das übersetzt sich im Alltag in Ablehnung, Mobbing und Gewalt. Darüber hinaus erfahren trans Menschen eine signifikante
ökonomische Benachteiligung. Viele trans Personen haben Schwierigkeiten, stabile
Beschäftigung zu finden, oft aufgrund von Diskriminierung bei der Jobsuche oder
am Arbeitsplatz. Dies führt nicht nur zu einem erhöhten Risiko von Arbeitslosigkeit,
sondern auch zu einem niedrigen Einkommen, da viele trans Personen in prekären oder unterbezahlten Jobs arbeiten.
Häufig stoßen queere Jugendliche in der Familie auf Ablehnung, verlieren ihre Lebensgrundlage, landen in der Obdachlosigkeit, werden in die Prostitution gedrängt oder sind auf die Hilfe dritter angewiesen. Wir wissen, dass Suizidraten unter queeren Jugendlichen fast doppelt so hoch sind, als in der Vergleichsgruppe. Gerade erst wurde eine Studie im Rahmen des Trevor Project veröffentlicht, die nachweist, dass in den US-Bundesländern, in denen Antitransgesetze verabschiedet wurden, die Suizidraten unter queeren Jugendlichen und jungen Erwachsenen um bis zu 72% gestiegen sind.
KULTURKAMPF & IDENTITÄTSPOLITIK
In diesem Kontext wurde ein riesiger Kulturkampf losgetreten. Ein Kampf um Meinungshoheit, Klicks und Sendezeit. Tatsächlich hat sich die Sichtbarkeit queerer Realitäten in den letzten 20 Jahren enorm verändert. Das ist eine positive Entwicklung, die uns aber nicht darüber hinweg täuschen darf, dass eine höhere Sichtbarkeit nicht zwangsläufig eine höhere Sicherheit bedeutet. Die Schwierigkeit bei queerpolitischen Themen besteht darin, dass sie sich sehr leicht über eine identitätspolitische Ebene hin zu einem „Diversity Ziel“ entpolitisieren lassen. Darauf folgt oft die Idee, dass es uns irgendwas bringen würde, wenn in diesem grundlegend ungleichen System plötzlich queere Menschen mit an der Spitze sitzen. Der patriarchale Kapitalismus ist in seinen Grundzügen auf Unterdrückung und Ausbeutung ausgelegt. Einzelne queere Menschen an der Spitze führen nicht zu einer Verbesserung der Lebensverhältnisse für alle queere Menschen, sondern machen nur
diese Einzelpersonen selbst zu Ausbeuter:innen. Repräsentation ist wichtig, aber wenn wir die Gesellschaft wirklich verändern wollen, brauchen wir politische Organisierung, Zusammenhalt und Solidarität. Die Wurzeln der Queerfeindlichkeit liegen im Patriarchat und sind eng mit dem Kapitalismus verwoben. Für grundsätzliche Veränderung müssen wir das System als ganzes in
Frage stellen und organisiert bekämpfen.
BEWUSSTSEINSLÜCKE IN DER LINKEN BEWEGUNG
Wir stellen fest, dass queerpolitische Themen innerhalb der linken Bewegung oft eine Randposition einnehmen. Es mangelt an
Aufklärung und Bewusstsein, darüber hinaus findet regelmäßig die Reproduktion von reaktionärem Gedankengut seinen Weg in linke Diskurse. Dem müssen wir uns dezidiert entgegenstellen, indem wir den Gegenstand unserer Kämpfe auf die Agenda setzen und die Solidarität einfordern, ohne die keine linke Bewegung auskommt. Unser Ziel muss es sein, queere Menschen zu politisieren und politische Menschen zu bilden, ohne einen klaren, antifaschistischen Klassenstandpunkt aus den Augen zu verlieren.
Wir müssen verschiedene Kämpfe zusammen denken und dürfen uns nicht mit dem Herunterspielen queerer Struggles zufriedengeben, genauso wenig damit, bei anderen feministischen Kämpfen „mit gemeint“ zu sein.
Wir müssen und wir werden uns wehren! Das disruptive Potential queeren Lebens hatte schon immer revolutionäre Momente. Unsere Aufgabe als politische Menschen ist es, uns zu organisieren, füreinander da zu sein und strategisch vorzugehen. Wir dürfen und wir werden uns von dieser reaktionären Welle nicht brechen lassen. Es ist unsere Aufgabe, zu sagen was ist und dagegen aktiv zu werden. Es muss allen queeren Menschen klar werden, dass wir ein gemeinsames Interesse in einer befreiten Gesellschaft haben. Einer Gesellschaft, in der wir alle frei Leben können, in der wir keine Unterdrückung erfahren, in der keine Staaten und Konzerne Solidarität vorgaukeln, um uns die selben Socken, Autos und Kriege in Regenbogenfarben zu verkaufen.
Wir müssen unseren Selbstschutz organisieren, vor liberaler Propaganda, einer weiteren Verbürgerlichung unserer Community und natürlich vor Angriffen von rechts. Unser Antifaschismus muss queer und unsere Queerness antifaschistisch sein! Gemeinsam gegen Kapitalismus, Faschismus und Patriarchat!
Sprecht uns an, wir sehen uns auf den Straßen!